Erich Heinemann

Claus Roxin - 70 Jahre

  
Lieber Claus,

zuvor möchte ich Dir, gewissermaßen in höherem Auftrag, die herzlichsten Geburtstagsgrüße übermitteln im Namen von rund zweitausend Gratulanten - so vielen, wie die Karl-May-Gesellschaft Mitglieder zählt. Wohl ist der 70. Geburtstag, den Du am 15. Mai 2001 begehst, kein so seltenes Fest mehr. Wer wird heute nicht alle siebzig? Karl May erreichte dieses Alter allerdings nur mit letzter Kraftanstrengung, und der Wiener Akademische Verband für Literatur und Musik nahm das Ereignis zum Anlaß, ihn zu einem Vortrag über sein Leben und Werk einzuladen. Dieser 22. März 1912 wurde siebenundfünfzig Jahre später nicht zufällig der Gründungstag der Karl-May-Gesellschaft.

Nun gehörst Du, lieber Jubilar, auch zu denen, die von sich behaupten dürfen, siebzig zu sein - Du magst wollen oder nicht, Sihdi. Wir Siebzigjährigen, höre, wir rechnen uns noch lange nicht zum alten Eisen und fühlen uns auch keineswegs als Greise. Bei Karl May war das anders. Als er jenes »Großmütterchen«-Gedicht niederschrieb - ein wohl kunstloses, aber schönes Beispiel echter Volkspoesie -, in dem die Zeile vorkommt: Ich selbst bin alt, fast schon ein Greis, da stand er erst in den Sechzigern. Obgleich von der Siebzig noch meilenweit entfernt, sah er sich selbst schon fast als Greis.

Die Jahreszahl 1969 ragt in der Biographie eines jeden von uns als ein wichtiges, lebensbestimmendes Zeichen hervor. Eine Handvoll Leute, gründeten wir damals die KMG. Du warst halb so alt wie heute und ließest Alfred Schneider in Hamburg, unseren spiritus rector, mit ein paar, vielleicht in Eile so hingeschriebenen, nicht allzu ernst gemeinten Zeilen wissen, daß Du Dich noch nicht für zu alt halten würdest, für Karl May, Deinen Freund seit Jugendtagen, »etwa zu tun«. An einen Verlauf, den das gewagte Unternehmen dann nahm - ohne Geld, ohne Förderung von außen, ja gezwungen, gegen mancherlei Unbill anzukämpfen -, wirst Du selbst kaum gedacht haben. Die wenigsten von uns haben damit gerechnet. Aber auch wer damals leichten Sinnes unsere Gründung nur für eine Episode hielt, die aufscheinen und nach kurzer Zeit wieder in der Versenkung verschwinden würde, sah sich bald getäuscht. Eine angesehene literarische Gesellschaft ist aus einem lebensschwachen Anfang ans Licht gestiegen, eine Gesellschaft, die Anspruch darauf erheben darf, sich im allgemeinen Kulturbetrieb Geltung verschafft und dafür gesorgt zu haben, daß der Name Karl May in den Stätten von Lehre und Forschung, an unseren Universitäten und Hochschulen, mit Achtung ausgesprochen wird. Aber ohne Dich, lieber Claus, wäre die KMG nie das geworden, was sie ist. Den Optimismus, die kindliche Zuversicht, die Du ausstrahlst, habe ich stets an Dir bewundert. (Oder hast Du sie manchmal nur vorgetäuscht?) Mir, dem leicht Zaudernden und Zweifelnden, hast Du in einer schwachen Stunde, als der Wind uns wieder einmal kräftig ins Gesicht blies, Mut zugesprochen mit der mir kühn erscheinenden Behauptung: »Wir arbeiten an einem Kulturwerk, das uns alle überdauern wird«. So steht es in einem Brief. Vielleicht kommt es ja wirklich noch so. Hat nicht Carl Zuckmayer, bezogen auf Karl May und sein Werk, einmal ähnliche Worte gesprochen?

Wie oft stehe ich in Hannover vor dem Gebäude in der Schumacherstraße, in dem einst die Gründer der KMG zusammenkamen. Ohne besondere Regung, rein geschäftsmäßig, fast ein bißchen gelangweilt lief das alles ab, was so feierlich Gründung heißt: Befragung, Handaufheben, Gegenprobe, Beschlußfassung. Der schlanke, hochgewachsene Herr Mitte dreißig, mit der norddeutschen, hanseatisch klingenden Stimme, im Trenchcoat, barhäuptig trotz des regnerischen Wetters, einen prall gefüllten Koffer mit sich führend: das war jener Professor aus Göttingen, den der rührige Alfred Schneider, der unser Geschäftsführer wurde, wegen des klangvollen Titels unbedingt in den künftigen Vorstand holen wollte. (Besagter Professor trägt auch als Siebzigjähriger und bei kühlsten Temperaturen noch immer keinen Hut, wiewohl er inzwischen über ein rundes Dutzend Doktorhüte verfügt, die ihm ehrenhalber die verschiedensten Universitäten rund um den Erdball verliehen haben - und noch ist kein Ende dieser Ehrungen abzusehen. Im vorigen Jahr hat den gebürtigen Norddeutschen sogar die Stadt München mit der goldenen, an Thomas Mann erinnernden Medaille »München leuchtet« geehrt. Aber kam der nicht auch aus Norddeutschland?)

Lieber Freund und Professor: Ich möchte noch lange so fortfahren mit seligem Schwelgen in Erinnerungen, weil das so meine Art ist. Aber ich sehe schon das besorgte Gesicht unseres Redakteurs der KMG-Nachrichten, der diese Gratulation auch gedruckt unterbringen soll. Ja, ich komme zum Schluß. Nur eines gestatte man mir noch auszusprechen: Vor Jahren bat ich Dich einmal, Deine Memoiren aufzuschreiben, erhielt aber eine Absage. »Zu Memoiren fühle ich mich einstweilen noch nicht aufgelegt«, entgegnetest Du. »Ich bin ja noch voll im Geschirr und habe für Rückblicke keine Zeit.« So frage ich denn ergebenst nochmals: Wäre nicht heute die Zeit dafür gekommen, Emeritus? Und sollte ich abermals einen Korb ernten, so wage ich, nicht locker lassend, die weitere Frage: Was würdest Du von dem Vorschlag halten, als Krönung Deines Ruhestandes eine Karl-May-Biographie zu schreiben, wie wir sie noch nicht besitzen - wie sie uns noch nicht geboten wurde: eine Biographie der Biographien, ein literarisches Glanzstück, ein Meisterwerk biographischer Prosa?

Bei Allah: Sag ja!

Mit Freundesgruß
Erich Heinemann